Heute freuen wir uns sehr, dass wir dieses Gespräch mit Patricia Neuhauser führen dürfen. Patricia, mit ihrem Mann Harald wohnhaft im Berner Oberland in der Schweiz, liebt die Materie Schnee über alles. Skitouren, Skibergsteigen, Steilwände und Rinnen, aber auch endlos lange Gratwanderungen und steiler Fels begeistern die Sportwissenschaftlerin.
Über ihren lebendigen Blog inspiriert sie Gleichgesinnte, als Autorin für das SAC Online Tourenportal recherchiert sie Skitouren und Alpinwanderungen in den Berner und Walliser Alpen. Nebenbei kümmert sie sich als Chefin der trail-maniacs, einem Trail- und Skyrunningverein, um die Schweizer Community dieser aufstrebenden Sportart.
Liebe Patricia, danke dass du dir für dieses Gespräch Zeit nimmst und unseren Lesern und Leserinnen ein wenig mehr über dich und deine Liebe zu den Bergen erzählst. Warst du schon immer ein „Bergkind“ und wann hast du entschieden, diese Passion zu deinem zentralen Lebensinhalt/Beruf zu machen?
Die Liebe zu den Bergen wurde mir nicht in die Wiege gelegt, ich stamme aus einer eher flachen, gerade noch als hügelig zu bezeichnenden Region im Südwesten von Deutschland. Doch die Studienzeit in Innsbruck sollte alles verändern, innerhalb kürzester Zeit flammte eine intensive Liebe auf, ich war motiviert möglichst alle Spielarten des Bergsports grundlegend zu erlernen. Gleichzeitig durchlief ich etliche Ausbildungen, mein Studium der Sportwissenschaften ermöglichte mir als Wanderführerin, Ski-, Snowboard- und Kletterlehrerin zu arbeiten. Lange liebäugelte ich auch mit der Bergführerausbildung. Um noch stärker auf das Thema Berg fokussieren zu können verlegten wir vor 8 Jahren unseren Wohnort aus Tirol in die Schweiz, seit eineinhalb Jahren leben wir jetzt im Berner Oberland mit der Niesen-Pyramide als Ganzjahreshausberg. Da lassen sich locker 1700 Höhenmeter am Stück einfach mal so am Abend wegpulverisieren.
Seit Jahren bist du immer wieder Gast in der Locanda Mistral, im Frühling dürfen wir dich wieder bei uns begrüßen ;-) Erinnerst du dich an dein erstes Mal in der Valle Maira? Wann war das und was ist dir am meisten in Erinnerung geblieben?
Ich war 2016 zum ersten Mal in der Valle Maira. Mir gefallen die italienischen Alpen extrem gut, so wild und ursprünglich, weniger verbaut. So bin ich bei meiner Recherche zu Skitouren im Piemont auf einen „Geheimtipp“ gestoßen, die Rede war von der Valle Maira. Wir wurden nicht enttäuscht, ganz im Gegenteil, unverspurte Hänge mit unzähligen Möglichkeiten von flach bis mega steil, herrliche Lärchenwälder die auch bei angespannten Verhältnissen für Spaß sorgen. Das kannte ich so aus Tirol bisher nicht. Jeden Tag eine neue Tour anspuren zu dürfen, das bleibt mir in Erinnerung. Wir hatten aber auch Glück mit dem Wetter, tagsüber Sonnenschein und alle paar Tage schneite es nachts 10-20cm vom weißen Gold, wie bestellt. Ja, ich denke am meisten beeindruckte mich damals, dass nur wenige Touristen und Einheimische aus der Region Cuneo dieses Kleinod und doch so weitläufige, vielfältige Gebiet mit über 200 Skitouren aufsuchten. Wie eine andere Welt.
Hast du eine Lieblingstour in der Valle Maira? Welche Tour würdest du unseren Lesern und Leserinnen empfehlen?
Ich habe zahlreiche Lieblingstouren. Aber eine Tour bleibt mir sehr lebendig in Erinnerung, das Nordcouloir des Oronaye. Wir waren uns nicht sicher, ob die geplante Rundtour mit Aufstieg über die Südseite und Abfahrt durch die bis zu 50 Grad steile Rinne möglich sein würde. Keine Spuren weit und breit, wir konnten in die Abfahrt auch nicht einsehen. Zu unserer Überraschung warteten gut 50cm ungebundener Pulverschnee in dem von Felswänden tief eingeschnittenen Couloir. Einfach einmalig. In Tirol oder Chamonix wäre so eine Linie überrannt.
Wenn man zum ersten Mal in der Valle Maira ist würde ich das Gelände rund um den Bric Boscasso empfehlen. Ein klassischer Skitourenberg, nicht zu hoch, mit hübschem Lärchenwald und meist gutem Schnee, dessen weitläufiges Gelände vielfältige Rundtouren ermöglicht. Bei Firn ist der Auto Vallonasso Südostgipfel schon bald in guten Bedingungen und begeistert mit einer perfekten Firnabfahrt, wenn man ihn denn punktgenau trifft, den Butterschnee. Zum Herantasten an die steileren Abfahrten eignet sich der Cobre mit seinem ebenmäßigen Nordcouloir, das recht beliebt ist.
2020 war sicherlich ein außergewöhnliches Jahr. Was hat sich bei dir geändert und welche Änderungen hast du als positiv empfunden / möchtest du weiterhin beibehalten?
Wie immer gibt es zwei Seiten der Medaille, Gewinner und Verlierer. Für mich persönlich hat das Jahr 2020 keine groben Veränderungen hervorgerufen, ich bin noch nie gerne weit verreist, der Alpenraum ist mein Revier. Ich liebte es schon immer neue Dinge vor der „Haustüre“ zu entdecken. Die Linie da hinten, der Grat dort drüben, jede Bergtour lässt neue Ziele und Ideen am Horizont aufblühen. Klar haben auch wir dieses Jahr noch mehr Urlaub in der Schweiz verbracht, sogar einen Monat Homeoffice in Zermatt. Generell hat das Homeoffice uns zu mehr Lebensqualität verholfen, die lästige Pendelei entfällt, das schafft freie Kapazitäten für noch mehr Bergsport. Insgesamt hat diese Krise in meinem Umfeld viele Menschen zusammengebracht, wir haben bei den Skihochtouren im Frühling ähnlich tickende Bergbegeisterte angetroffen und liebe Freundschaften aufgebaut. Unser Trailrunningverein erfährt Zuspruch wie nie zuvor. Eine Leidenschaft miteinander teilen und dadurch wunderbare Momente gemeinsam erleben, das ist doch das was zählt, bleibende Geschichten.
Zurück in die Locanda Mistral: Nachhaltigkeit spielt bei uns eine große Rolle und auch die Valle Maira gilt als Destination, die vom Massentourismus verschont geblieben ist. Wie schätzt du generell den Status Quo im Alpenraum in Sachen Nachhaltigkeit, „over-tourism“, usw. ein? Hat sich hier die letzten Jahre etwas verändert?
Das war für mich ein ausschlaggebendes Kriterium, dass wir euch in der Locanda Mistral besucht haben. Authentizität ist das Schlagwort für die Valle Maira, mit der sie punkten kann. Mir stellt es die Haare auf, wenn ich an die ganzen Inszenierungen im Alpenraum denke. Dabei braucht es doch nur die bloße Natur, wild und naturbelassen, um ein Bergerlebnis mit nach Hause zu nehmen. Der Status Quo im Alpenraum in Sachen Nachhaltigkeit wird immer wieder durch Vorhaben wie Skigebietserweiterungen und -zusammenschlüsse, Stauseen für Wasserkraft, Windräder, etc. bedroht. Geld regiert die Welt. Da wird nicht davor zurückgeschreckt, dass die Biodiversität darunter massiv leidet, dass Naturraum unwiderruflich zerstört wird. Positiv sehe ich die vielen Gegenbewegungen und Projekte zur Bewusstseinsbildung in den letzten Jahren. Da tut sich was! Es gehört zum guten Ton nachhaltig produzierte Outdoorprodukte zu kaufen, Unterkünfte zu buchen, die ihre Produkte aus der Region beziehen. Hier in der Schweiz reisen sehr viele Bergsportler und Naturliebhaber mit dem öffentlichen Verkehr an, an schönen Wochenenden werden Zusatzzüge eingesetzt, um die Massen an Freizeitsportlern überhaupt managen zu können. Das ist klasse! In anderen Ländern gibt es noch großen Nachholbedarf beim Thema Mobilität.
Auf was freust du dich persönlich am meisten, wenn du an deinen nächsten Aufenthalt in der Locanda Mistral denkst?
Ich freue mich schon sehr euren Umbau zu sehen, es steckt so viel Liebe und Herzblut in eurer Locanda Mistral, das beeindruckt mich. Und natürlich auf das gute Essen, am Nachmittag bei einem Bier in der Sonne sitzend, den mega Skitag Revue passieren zu lassen,…
Über Patricia Neuhauser:
Patricia Neuhauser, aus dem Saarland stammend, über Innsbruck schliesslich in der Schweiz im Berner Oberland (Aeschi b. Spiez) gelandet. Sie liebt und lebt zusammen mit ihrem Mann Harald seit 18 Jahren Bergsport in vielen Facetten. In den letzten Jahren fiel der Fokus auf die Disziplin Skyrunning, wo sie Bestzeiten an einigen hohen Bergen aufstellte. Infos dazu auf ihrer Homepage: patricia-neuhauser.ch