Stefan Steinegger ist Mitarbeiter des Alpenvereins Südtirol (AVS) im Bereich Bergsport & Ausbildung, betreibt mit seiner Frau im Sommer einen urigen Almschank in den Bergen Sarntals. Seit 2020 hat das Paar zudem in ihrem Heimatort Tramin ein neues Projekt angepackt. Mit dem öffentlich zugänglichen Kräutergarten wird nicht nur die Familie versorgt, sondern will man der Bevölkerung, den Gästen und auch Schulkindern die Schätze und das Wissen rund um die Natur näherbringen.
Diesen September war Stefan zum ersten Mal mit der gesamten Familie Gast in der Locanda Mistral. Diese Gelegenheit haben wir natürlich genützt und mit Stefan über seine Liebe zu den Bergen, seine Arbeit beim AVS sowie die Valle Maira gesprochen.
Stefan, danke für deine Besuch in der Locanda Mistral und für deine Zeit, uns ein paar Fragen zu beantworten. Könntest du unseren Lesern mehr über deine Liebe zu den Bergen erzählen?
Ich bezeichne es mehr als Sehnsucht. Sobald ich längere Zeit nicht in die Natur und die Berge kann, verspüre ich diese Berg-Sucht in mir. Mein Vater ist selbst bergbegeistert und hat mir und meinem Bruder von klein auf unsere Berge und das Bergsteigen nähergebracht. Auch meine Frau und ich möchten unseren Kindern so viele Berg- und Naturerlebnisse wie möglich mit auf ihren Lebensweg geben. Die erste Gipfeltour, das gemeinsame Herz-Jesu-Feuer, Silvester auf einer einsamen Berghütte oder die erste Skitour sind nur einige Aktionen mit unseren Kindern, an die ich gerne zurückdenke. Die eiskalte Dusche im Bergbach oder gemeinsame Fackelwanderung im Neuschnee sind hoffentlich für unsere Kinder Erlebnisse, an die sie sich bis ins hohe Alter gerne erinnern werden. Und überhaupt, einige der prägendsten Bergabenteuer habe ich auch dir zu verdanken! Die Jugendführerfahrt nach Baffin Island 2002 mitsamt der ganzen Vorbereitung in den Alpen, wo du uns immer begleitest hast, war eines der ersten Bergabenteuer, das meine Bergsucht um ein Vielfaches verstärkt hat.
War dir immer klar, dass du diese Leidenschaft als Mitarbeiter des Alpenverein Südtirols und Hüttenwirt auch zum Beruf machen wolltest?
Nach dem Gewerbeoberschulabschluss war für mich eigentlich nur klar, dass ich nicht studieren will, sondern begann gleich in einem Maschinenbaubetrieb. In der Freizeit war mir wichtig, viel mit meinen Freunden zu unternehmen und neben der ehrenamtlichen Arbeit als Jugendführer auch selbst Winter wie Sommer Bergsteigen zu können. Mehr zufällig als geplant landete ich als Projektmitarbeiter bei der Alpenvereinsjugend und arbeite seit dieser Entscheidung bis heute beim AVS. Seit 15 Jahren ist es eine abwechslungsreiche, herausfordernde Arbeit für den Verein, dessen Entwicklung mir eine Herzensangelegenheit ist. Dass ich nun den Bereich Bergsport & Ausbildung als Mitarbeiter begleiten darf und mit sehr vielen ehrenamtlich motivierten Vereinsfunktionären täglich Kontakt habe, die meine Bergbegeisterung teilen, bereichert die tägliche Arbeit. Nebenbei bewirtschafte ich seit neun Jahren mit meiner Frau eine kleine Alm. Mehr als Hirten wie als Wirte verbringen wir die Sommer in einer urigen Hütte. Wie es dazu kam? Meine Frau Roswitha war in ihrer Kindheit selbst fünf Sommer auf der Alm. Erinnerungen, von denen sie immer mit großer Leidenschaft erzählt und davon schwärmt. Ihr verdanken wir es, dass auch unsere Familie im Sommer drei Monate auf der Alm lebt. Viele Abenteuer, Höhen und Tiefen haben wir dieser Zeit zu verdanken, die uns als Familie zusammengeschweißt und uns die Augen für die Natur noch mehr geöffnet hat. Unseren Kindern wünschen wir, dass sie sich als Erwachsene ebenso gerne an diese Zeit zurückerinnern wie meine Frau. An eine Zeit, in der sie von frühmorgens bis zum Schlafengehen einfach noch Kinder sein durften, ohne Hektik, Klischees und Regeln, von denen sie sonst umzingelt sind.
Wenn wir kurz beim AVS bleiben: Welche Entwicklung ist dir in den letzten Jahren aufgefallen? Denken wir z.B. an die Jugendarbeit, Massentourismus, Klimaerwärmung, um nur einige aktuelle Themen zu nennen.
Der AVS wird in vielen Bereichen als Kritiker, Verhinderer und Schlecht-Redner wahrgenommen. In letzter Zeit bekomme ich aber immer öfter mit, dass auch auf touristischer Seite über Themen ernst diskutiert wird, die der AVS seit Jahren versucht voranzutreiben. Müllvermeidung, sanfter Tourismus, Nachhaltigkeit, Naturverbundenheit, ehrliches Auftreten sind nur einige davon. Der Tourismus erkennt so langsam, dass Gäste das Authentische suchen, dass viele nach Südtirol kommen, weil wir eine einzigartige Bergregion sind. Der AVS setzt sich seit jeher für den Erhalt unserer Bergwelt und Natur ein, was nun langsam nicht nur einige wenige Querdenker des Tourismussektors verstehen, sondern immer mehr Visionäre der verschiedensten Wirtschaftssektoren erkennen. Als AVS werden wir immer mehr gefordert, in den vielfältigsten Bereichen mitzuarbeiten und uns einzubringen. Für den einzelnen Sektionsvorstand sind es oft schwierige, belastende Zusatzthemen, denn ihr Fokus ist vor allem darauf gerichtet, ihren Mitgliedern in ihrer Freizeit tolle Bergtouren zu ermöglichen. Freizeit ist oft Mangelware, weshalb es gut ist, dass der Gesamtverein im Namen der Sektionen sich einbringt und sie unterstützt.
Du hast kürzlich mit einem neuen Projekt begonnen: deinem eigenen Kräutergarten. In der Locanda Mistral haben wir uns ebenfalls der Nachhaltigkeit verschrieben und ich pflege dort unseren biologischen Gemüsegarten. Wie bist du auf diese Idee gekommen und was machst du mit den Kräutern?
Das ist unser neues, gemeinsames Projekt. Ich bin dabei mehr „Hausmeister“ und Knecht, denn Expertin ist meine Frau. Schon lange wünschte sie sich ein Stück Acker, um mehr Selbstversorger sein zu können. Auf der Alm schaffen wir es bereits sehr gut, im Tal war es bis jetzt für uns schwierig. Da meine Frau Kneipp-Gesundheitstrainerin und Kräuterexpertin ist, haben wir uns getraut, dieses neue Projekt anzugehen. Gemeinsam mit der Gemeinde Tramin realisierten wir die Idee, einen Kräutergarten für alle zugänglich zu machen. Vom anfangs geplanten Lehrpfad wurde heuer während des Lockdowns ein Garten, wo neben Kartoffeln, Mais, Korn und Gemüse alle möglichen Pflanzen und Kräuter zu finden sind. Dieses erste Jahr nutzen wir aber nur um zu sondieren, was alles wächst, wie wir es die nächsten Jahre verarbeiten und vermarkten können und wie wir Schulprojekte sowie Führungen anbieten können. Es bleibt spannend und wird sicher ein neuer, herausfordernder Lebensabschnitt für uns. Wer weiß, vielleicht, findet man das eine oder andere Produkt die nächsten Jahre auch in deiner Locanda Mistral…
Du bist diesen September das erste Mal mit deiner Familie Gast in der Locanda Mistral: was denkst du, macht die Valle Maira einzigartig?
Meine Frau und ich waren von der intakten Natur und Weitläufigkeit der Bergwelt beeindruckt. Die kleinen, typischen Dörfchen spiegeln das Leben der Bergmenschen wider. Es ist fast so, als würde man sich in einem der Südtiroler Täler vor hundert Jahren befinden, als unser Land noch von der harten Arbeit der Berglandwirtschaft geprägt war und ohne dem aktuellen Tourismus. Ich bin überzeugt, das Valle Maira hat für die nächsten Jahrzehnte einiges an Potential, ein Zufluchtsort für den sanften Tourismus zu bleiben und dem Trend des Massentourismus entgegenzuwirken. Das wünsche ich euch und der nächsten Generation im Tal.
Stefan, danke für deine Zeit und die tollen Antworten. Möchtest du uns und unseren Lesern zum Abschluss noch etwas mitteilen?
Unsere Kinder sind täglich mit den ständig wachsenden Herausforderungen unserer sich immer schneller drehenden Welt konfrontiert. Umso mehr ist es unsere Aufgabe als Eltern, ihnen nicht nur das Recht auf Auszeiten im Freien einzuräumen, sondern auch bewusst Möglichkeiten zu schaffen, der Belastung immer wieder entfliehen zu dürfen, gemeinsam mit uns Eltern ihre Pflichtaufgaben für eine Weile zu vergessen, die frische Luft in der Natur einatmen zu dürfen. Seit den Weihnachtsferien 2019 waren die letzten drei Tage bei dir unsere ersten gemeinsamen Urlaubstage als Familie. In der Locanda Mistral haben wir uns sichtlich wohlgefühlt, auch unser Kinder. Und die Bergtour, die du uns empfohlen hast, war eine unserer beeindruckendsten Familienausflüge: Es war wie ein Ausflug in einen Alpenzoo, kombiniert mit einer Überschreitung. Der Entdeckungsdrang unserer Kinder war derart groß, dass sie Wind, Schnee, Länge und Höhenmeter nicht beachteten. Und: neben Steinböcke, Gämsen, Steinadler, weite Almen und Murmelen entdeckten wir sogar einen anderen Mensch auf unserer Tour . Wir kommen sicher wieder zu euch, danke für die nette Gastfreundschaft!
Danke Stefan, für dieses Gespräch und für deine tolle Unterstützung beim Schneiden und Finalisieren unseres neuen Winter Videos. Bis hoffentlich bald wieder in der Locanda Mistral und toi toi toi mit deinen eigenen tollen Projekten.
Über Stefan Steinegger:
Stefan Steinegger, Traminer, hat mit seiner aus dem Sarntal stammenden Frau Rosi drei Jungs und ist mit seiner Familie das ganze Jahr über am liebsten in den Bergen unterwegs. Gelernter Maschinenbauer und Schlosser, seit 1995 Jugendleiter im AVS und Leiter der Kletterhalle Tramin. Seit 2006 beim AVS hauptamtlich tätig, anfangs für die Alpenvereinsjugend, aktuell für das Referat Bergsport & Ausbildung.